Haben wir nicht alle schon mal davon geträumt, mit über 100 km/h im Bob oder mit dem Schlitten durch einen Eiskanal zu jagen und den Druck der Kurven am eigenen Körper zu spüren? Die Formel 1 des Wintersports stellt große Herausforderungen an Athleten, Technik, Logistik und auch die medizinische Betreuung. Die Vorbereitungen für die aktuelle Saison laufen längst auf Hochtouren und es verspricht wieder ein harter Kampf an/auf der Bahn zu werden. (Abb 1)
Drei verschiedene Sportarten werden auf den Kunsteisbahnen der Welt (Ausnahme Natureisbahn in St. Moritz) mit diversen Disziplinen ausgetragen. Eine Bob/Skeletonbahn hat eine Länge von mindestens 1.200 m und einem Gefälle zwischen 8 und 15 %. Sie muss mindestens fünf stark überhöhte Kurven mit einem Radius von 25 m und 5 m hohen Seitenwänden haben. Die Kurven sind maximal so berechnet, dass bei einer Durchfahrzeit von 3 Sekunden die maximale Fliehkraft nicht stärker als die vierfache Fallbeschleunigung (4 g) oder bei 2 Sekunden Durchfahrt 5 g Fliehkraft beträgt.
Bobsport
Es ist nicht genau bekannt, wer den ersten Bob aus zwei Skeletonschlitten mit einem Sitzbrett gebaut hat. Sicher ist, dass die Anfänge des Bobsports in St. Moritz liegen und dort der Schmied Christian Mathis 1889 den ersten richtigen Bob baute. Das erste Rennen fand dann 1892 statt; eine erste Bahn wurde ebenfalls hier 1903 errichtet. Auch in Deutschland wurde der Bobsport schnell sehr beliebt, sodass 1907 in Oberhof die erste deutsche Bahn gebaut und 1911 der Deutsche Bob- und Schlittensportverband gegründet wurde.
Bobsport gehört seit 1924 zum Olympiaprogramm, seit 1930 werden Weltmeisterschaften im Viererbob und seit 1931 im Zweierbob ausgetragen. Als Wettkampf wurden Bobs früher nur von Männern gefahren. Seit Damen-(Zweier-)Bob bei den Olympischen Winterspielen 2002 in Salt Lake City ins olympische Programm aufgenommen wurde, fahren auch Frauen durch den Eiskanal und zusätzlich ab den Spielen 2022 in Peking auch in der Disziplin Monobob.
Der Bob ist ein aus Glasfaser und Stahl gefertigtes aerodynamisches Gefährt, das auf vier Kufen aus Edelstahl im Eiskanal Geschwindigkeiten von bis zu 150 km/h erreicht. Gelenkt wird durch den Piloten mit einer Seilsteuerung am vorderen Kufenpaar. Die gefederten und einzeln aufgehängten Kufen müssen mindestens 4 mm (beim Viererbob 6 mm) breit sein. Ein Monobob ist bis zu 2,30 m lang, ein Zweierbob ist bis zu 2,70 m lang und 70 cm breit, ein Viererbob bis zu 3,85 m lang und 87 cm breit.
Da Geschwindigkeit entscheidend vom Gewicht abhängt – je schwerer, desto schneller –, ist das Höchstgewicht mit Besatzung im Monobob Damen auf 247 kg, im Zweierbob auf 390 kg (Damen 340 kg) und im Viererbob auf 630 kg festgeschrieben. Bis zu diesen Gewichten darf der Bob mit fest verbundenem Ballast beschwert werden.
Die Mannschaft mit der schnellsten Zeit nach Addition aller Wertungsläufe in 1/100 Sekunden ist Sieger. Im Weltcup werden zwei, bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen vier Läufe gefahren.
Die Athleten tragen einen eng anliegenden, einteiligen Stoffanzug, Fingerhandschuhe, einen den DIN-Normen entsprechenden Schutzhelm, Start-Sprintschuhe mit Spikes und, wenn nötig, Polster und Schoner.
Grundlage für eine gute Fahrt im Eiskanal ist bereits der Start. Die Mannschaft schiebt den Bob möglichst schnell bis zu 15 m auf maximal 2 % Gefälle an und nacheinander springen Pilot und Anschieber in den Bob. Anschließend wird nach 50 m die Startzeit gemessen und der Pilot steuert den Bob möglichst auf der Ideallinie ins Ziel. Mit hohen Geschwindigkeitsverlusten gehen Bandenberührungen und ein Abheben des Bobs vom Eis einher. Der Schlussmann (= Bremser) ist nach Überqueren der Ziellinie mit zwei Handbremshebeln für das Bremsen des Bobs zuständig.
Die besonders hohen athletischen Anforderungen haben dazu geführt, dass die Positionen der Anschieber und Bremser immer häufiger von Leichtathleten besetzt werden. Die idealen Voraussetzungen werden durch gezieltes Maximalkrafttraining mit Schnellkrafttraining kombiniert, um schnelle Abrisszeiten beim Start zu erreichen. Koordinationstraining und Verbesserung der Anschubtechnik runden dann das Ganzjahrestrainingsprogramm ab.
Die Sportart an sich ist wenig verletzungsträchtig. Häufig treten allerdings bereits am Start Weichteilverletzungen beim Einsteigen durch ein Abrutschen am Bob oder durch Spikes der Mannschaftsmitglieder auf. Während der Fahrt „verschwinden“ die Anschieber nahezu vollständig im Bob und verbringen die etwa 60 Sekunden bis zum Ziel in stark nach vorn gebeugter Körperhaltung. In dieser Position ist die gesamte Wirbelsäule starken Belastungen ausgesetzt, sodass häufig akute Schmerzattacken ausgelöst werden können. Im Falle eines Sturzes versucht jeder weiterhin im Bob zu verschwinden, um nicht mit dem Kopf nach außen auf das Eis zu schlagen. Durch die enorm hohen Kräfte sind dann diskoligamentäre und knöcherne Verletzungen, meist der Halswirbelsäule, Kompressionsfrakturen der Lendenwirbelsäule und Gehirnerschütterungen abzuklären. Gelegentlich rutscht der letzte Athlet aus dem Bob heraus, wobei dieser dann möglichst schnell die Bobbahn verlassen muss, um nicht von seinem – zum tiefsten Punkt zurückrutschenden – Bob erfasst und erneut verletzt zu werden. Tödliche Verletzungen sind durch eine konstante Optimierung der Bahnen, der Bobs und ein gezieltes Fahrtraining fast nicht mehr anzutreffen.
Die meisten Verletzungen treten jedoch im allgemeinen Training auf. Hier ist das Fußballspielen als Koordinationstrainingsmaßnahme herauszustellen. Weitere Verletzungs- und Überlastungsmuster entsprechen denen der Leichtathletik. Überlastungen der Sehnenansätze und der belasteten Knorpelanteile in den Kniegelenken sind möglich und müssen konsequent diagnostiziert und anschließend austherapiert werden. Aufgrund der hohen Belastung der Hals- und Lendenwirbelsäule ist hier auftretenden Beschwerden besondere Beachtung zu schenken. Eine gezielte Abklärung der Sportfähigkeit ist zur Vorbeugung von dauerhaften Schäden angezeigt.
Die Bedeutung der muskulären Fitness und Vermeidung von Verletzungen steht dabei im Vordergrund. Durch die hohe Belastung der Wirbelsäule wird ein besonderes Augenmerk auf die segmentale Stabilität der LWS gelegt, um so eine reguläre Ansteuerung der Beinmuskulatur zu gewährleisten und der Entwicklung von ischiokruralen Beschwerden vorzubeugen.
Skelton
Eine Fahrt im Eiskanal – auf dem Bauch liegend und mit dem Kopf voran – und dabei bis zu 135 km/h zu erreichen, ist für so manchen Außenstehenden unbegreiflich. Der Fahrer liegt auf einem schweren Skeletonschlitten nur knapp über dem Eis – damit ist sein Körperschwerpunkt unter ihm. Das erklärt die geringe Verletzungshäufigkeit, abgesehen von blauen Flecken und Abschürfungen.
Schon lange wurden Schlitten als Transport- und Fortbewegungsmittel in den schneereichen Ländern dieser Erde benutzt. Im 18. Jahrhundert wurde Schlittenfahren zum Freizeitvergnügen; in St. Petersburg und Berlin erbaute man die ersten geraden Eisbahnen von bis zu 370 m Länge. Engländer, die in St. Moritz ihre Winterurlaube verbrachten, erkannten die sportlichen Möglichkeiten. 1883 wurde das erste Rennen „international“ auf der Poststraße von Davos nach Klosters veranstaltet. 1887 fuhr der erste Fahrer die Abfahrt liegend mit dem Kopf voran hinunter – Skeleton war geboren.
1905 gab es das erste Skeleton-Rennen auf einer Naturbahn, die erste deutsche Meisterschaft fand 1912 im Harz statt, die erste Europameisterschaft 1914 in Davos. Mit dem Zweiten Weltkrieg verschwand Naturbahn-Skeleton fast gänzlich. 1969 wurden nach Versuchen im Windkanal das Tragen eines Taucheranzugs und der neue Stil mit nach hinten gestreckten, fest am Körper anliegenden Armen bevorzugt. Als 1971 die erste Kunsteisbahn der Welt am Königssee fertiggestellt wurde, war das die Geburtsstunde des modernen Skeletons. Im gleichen Winter wurden bereits die ersten deutschen Meisterschaften ausgetragen.
„Bobbahn“-Skeleton verbreitete sich schnell, unterstützt durch die neu erbauten Kunsteisbahnen in der ganzen Welt. 1981 wurden Europameisterschaften in Innsbruck, 1982 die ersten Weltmeisterschaften ausgetragen. Nach 1924 und 1948 ist Skeleton seit den Olympischen Winterspielen 2002 in Salt Lake City wieder fester Bestandteil des Olympiaprogramms.
Der Skeleton besteht heute aus einem massiven Stahlgerippe, woher sich auch der Name „Skeleton“ (engl.: Skelett) ableitet. Darauf liegt eine seitlich hochgezogene starre Wanne mit Haltebügeln sowie seitlichen Prallbügeln vorn und hinten. Die Rundstahlkufen sind am Schlitten mittels Stellschrauben befestigt. Es ist somit möglich, die Kufenform und damit die Auflage auf dem Eis anhand der Kufeneinstellungen zu verändern.
Laut Reglement sind für den Skeleton ein Mindestgewicht von 33 kg und ein Maximalgewicht von 37 kg bei den Damen bzw. 43 kg bei den Herren vorgeschrieben. Das zulässige Gesamtgewicht aus Schlitten, Athlet und weiterer Ausrüstung ist ebenfalls reglementiert – bei den Damen 95 kg bzw. bei den Herren 115 kg – und wird im Zielbereich kontrolliert.
Der Athlet trägt einen eng anliegenden, einteiligen Stoffanzug, Fingerhandschuhe, einen den DIN-Normen entsprechenden leichten Schutzhelm mit Kinnschutz, Sprinterschuhe mit 7-mm-Spikes und, wenn nötig, Polster und Schoner.
Die Grundlage für eine gute Fahrt im Eiskanal wird bereits am Start gelegt. Bei dem rund 40 m langen Sprint in gebückter Haltung wird der Skeleton – ein- oder beidhändig – in der Startspur angeschoben. Anschließend erfolgt ein Sprung in die richtige Fahrlage, die sich durch eine aerodynamisch günstige Haltung auszeichnet. Die Steuerung erfolgt durch Bewegungen von Schultern und Knien, durch Gewichtsverlagerung und – mit einem hohen Geschwindigkeitsverlust verbunden – durch Einsatz der Füße auf dem Eis.
Die Sportart an sich ist sehr wenig verletzungsträchtig. Im Falle eines Sturzes versucht der Fahrer, sich weiter am Schlitten festzuhalten und wieder auf das Gerät zu ziehen. Verliert er den Skeleton, so fährt dieser einfach die Bahn hinunter und der Fahrer steigt, nachdem er ein Stück auf dem Eis gerutscht ist, aus der Bahn. Der Eiskanal ist glatt und hat keine Hindernisse, sodass man nirgendwo „dagegen“ fahren kann.
Die typischen Verletzungen sind Prellungen jeglicher Art und leichte Abschürfungen – meist an der kaputten Kleidung sichtbar – an Schultern, Ellenbogen oder Oberschenkeln. Bei sehr hartem Anprall an den Eiskanal kann auch eine Fraktur im Ellenbogen- oder Mittelhandbereich auftreten. Gelegentlich treten auch Nasenbluten und Verletzungen an Kinn und Nase bei ungenügender Stabilisation der kopftragenden Nackenmuskulatur auf. In seltenen Fällen sind schwerwiegendere Verletzungen nach Stürzen auf den Rücken auszuschließen, insbesondere Wirbelbrüche und Gehirnerschütterungen.
Die meisten Verletzungen treten jedoch im allgemeinen Training auf. Hier ist das Fußballspiel herauszustellen. Überlastungen der Sehnenansätze und der belasteten Knorpelanteile in den Kniegelenken sind möglich und müssen konsequent diagnostiziert und anschließend austherapiert werden. Aufgrund der hohen Belastung der Wirbelsäule ist hier besondere Beachtung der auftretenden Beschwerden geboten. Eine gezielte Abklärung der Sportfähigkeit ist zur Vorbeugung von dauerhaften Schäden angezeigt.
Sportarten im Eiskanal
Allen beiden Sportarten ist die grundsätzlich niedrige Verletzungshäufigkeit während des Sportbetriebs gemeinsam. Durch wiederkehrenden Vibrationen und/oder direkten Kontakt des Helmes mit dem Eis oder dem Sportgerät können jedoch teils langfristige Beschwerden im Kontext einer Concussion auftreten. Die Symptome (u. a. Kopfschmerz, Unwohlsein, Desorientiertheit) müssen ernst genommen und weiter abgeklärt werden. Das Ausmaß der Beschwerden hängt dabei von vielen möglichen Faktoren ab – nach derzeitigem Erkenntnisstand von der körperlichen Fitness, der Halsmuskulatur und der Geometrie/Beschaffenheit der Bahn. Aktuell werden Untersuchungen und Studien zu diesem Thema, die sich mit der Anwendung der bekannten Testverfahren (u. a. SCAT oder ImPACT) beschäftigen, durchgeführt. So soll eine zu frühe Rückkehr in die Sportart und damit wiederholte Verletzungen ausgeschlossen werden.
Wichtiges für den betreuenden Sportarzt
- Wissen bezüglich Immunstimulation und Kältegewöhnung
- Kompetenz in Muskelverletzungsdiagnostik und -behandlung
- Genaue Kenntnisse der Diagnostik und Behandlung von Wirbelsäulenverletzungen
- Kenntnisse im Umgang mit Concussion, Anwendung der bekannten Tools
- Kenntnis der Logistik des Rettungsdienstes vor Ort
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DER AUTOR
Dr. med. Christian Schneider ist Facharzt für Orthopädie und Sportmedizin im Orthopädiezentrum Theresie, München. Schwerpunkt: Wirbelsäulenbeschwerden. Seit 2000 ist er Mitglied der GOTS, seit 2012 Vorsitzender der Verbandsärzte Deutschland. 2018 wurde der Olympiaarzt GOTS-Sportarzt des Jahres. Er ist Mitglied der med. Kommission des DOSB, Leiter der med. Kommission des Internat. Bob- und Skeletonverbandes, leitender Verbandsarzt Bob- u.Schlittenverband und hat viele weitere Ehrenämter im Sport.