Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin

GOTS: Verletzungen beim Biathlon

GOTS – Pressenewsletter 02.03.2011

Sehr geehrte Damen und Herren,

morgen beginnt im sibirischen Chanty-Mansijsk (Russland) die Biathlon-Weltmeisterschaft 2011. Die deutsche Mannschaft zählt traditionell zu den Favoriten. Im nachfolgenden Text, der zu Ihrer Verwendung freigegeben ist, beleuchten PD Dr. Alexander C. Disch und Dr. Bernd Wohlfahrt die beliebte Fernsehsportart aus sportmedizinischer Sicht.

Mit freundlichen Grüßen,
Frank Wechsel und Dr. Wolfgang Schillings, GOTS-Pressesprecher

Verletzungen beim Biathlon

Biathlon (griech. Doppelkampf) ist ein olympischer Winterwettbewerb, bestehend aus Skilanglauf in Skatingtechnik und eingeschobenen Schießübungen mit einem 5,6-Millimeter-Kleinkalibergewehr. Die olympische Premiere fand 1960 in Squaw Valley bei den VIII. Olympischen Winterspielen statt. Seit 1992 haben auch Biathletinnen die Möglichkeit, bei Winterolympiaden Medaillen zu erringen. Bei Weltmeisterschaften werden in den sechs Disziplinen Sprint, Verfolgung, Einzel, Massenstart, Staffel und Mixed-Staffel Medaillen vergeben.

Akute sportartspezifische Verletzungen
Aus der Nähe zum Skilanglauf ergeben sich beim Biathlon vergleichbare Verletzungs- und Beschwerdemuster. Verletzungsstatistiken mit reinen Biathlon-Kollektiven existieren bis dato nicht. Akute Traumen sind im Vergleich zu anderen Sportarten seltene Ereignisse. Die Angaben in der Literatur schwanken zwischen 0,5 und 5,5 Ereignissen auf 1.000 Sportler pro Skilanglauf-Tag. Dies resultiert aus dem niedrigen Gefahrenpotenzial und aus dem eher gering ausgeprägten Breitensportcharakter mit Verletzungen ungeübter Aktiver.
Über Schussverletzungen wurde im Verlauf der letzten Jahrzehnte in Einzelfällen berichtet. Trotz des kleinen Waffenkalibers war es zu Verletzungen mit letalen Ausgängen gekommen, was nochmals zu einer deutlichen Verschärfung der Sicherheitsstandards geführt hat. Dadurch wurde eine Risikominimierung erreicht.

Selten Operationen erforderlich
Verletzungen während der auf Skiern durchgeführten Trainingseinheiten sind wesentlich seltener als in den Vorbereitungsphasen außerhalb der Wintersaison. Hier werden Trainingsumfänge zu Fuß, auf dem Straßenrennrad oder Mountainbike und dem Haupttrainingsgerät, dem Skiroller, absolviert. Hierbei ist das Gefahrenpotenzial für Verletzungen vergleichbar mit dem beim Inlineskaten. Die meisten Verletzungen in der Vorbereitungsperiode resultieren aus sportartunspezifischen Trainingsmaßnahmen, zum Beispiel bei Spielsportarten.

Trainings- und Wettkampfeinheiten auf Langlaufskiern bergen zumeist sturzbedingte Verletzungsgefahren wie Prellungen sowie Distorsionen mit Gelenkbinnenschädigungen im Bereich der Hände, der oberen Sprunggelenke und der Kniegelenke. Frakturen der Extremitäten oder im Bereich der Wirbelsäule und des Thorax sind selten. Intensive Trainingseinheiten sind von einer deutlich erhöhten Muskelverletzungsgefahr mit Zerrungen und Faserrissen begleitet.

Die Therapie der genannten Verletzungen umfasst neben dem gesamten Spektrum der traumatologischen Akutversorgung die Physiotherapie mit ergänzender balneophysikalischer Therapie, die Orthesenversorgung und auch die interventionelle Schmerztherapie. Operative Eingriffe auf Grund von biathlon-spezifischen Verletzungen sind äußerst selten.

Sportartspezifische Überlastungsbeschwerden
Trotz einer Gesamtbelastungszeit, die Biathlon als Ausdauersportart definiert, sind die Belastungsintervalle durch die Zunahme an Schießeinlagen deutlich verkürzt und parallel die Belastungsintensitäten auf den Teilstrecken erhöht worden. Im Spitzensportbereich zeigen sich daraus resultierende Überlastungs- und Fehlbelastungssymptome. Dabei stehen akute und chronische Muskeldystonien, Insertionstendinopathien, Tendinitiden und Tendovaginitiden im Vordergrund. Knochenhautreizungen vor allem der unteren Extremitäten beispielsweise durch Schuhprobleme oder muskuläre Fehlbelastung werden häufig beobachtet.

Es finden sich inhomogen verteilte Beschwerdemuster im Bereich der oberen Extremität inklusive Händen und Schultergürtel, der Wirbelsäule im Bereich des lumbosakralen Überganges, der unteren Extremität mit Knie- und Sprunggelenken wie auch des Fußes.
Im Biathlonsport sind durch die zu verrichtende Haltearbeit im Rahmen der Schießübungen im Wechsel mit der Ausdauerleistung vermehrt Tonusveränderungen mit Beschwerden und Funktionseinschränkungen der Schultergürtelmuskulatur und der Rückenmuskulatur zu beobachten. In Abhängigkeit von der Trainingsintensität und -akzentuierung ist neben der Technikkorrektur meist auch die ärztliche beziehungsweise physiotherapeutische Betreuung zur Behebung des muskulären Missverhältnisses notwendig.

Besondere Belastung für die Lendenwirbelsäule
Um den Vortrieb beim Laufen auf Skiern zu gewährleisten, wird der Oberkörper in einer Beugebewegung gegen die unteren Körperpartien bewegt und dann in eine Hyperextensionsposition aufgerichtet. Die zu entfaltende Kraft korreliert mit der Ausnutzung des Beuge-/Streckungszyklus. Diese Bewegung führt vor allem im Biathlon bei sehr hohen Wiederholungszahlen zu einer vermehrten Krafteinwirkung auf die Bewegungssegmente der Lendewirbelsäule und des lumbosakralen Überganges. Hier sind akute Beschwerden wie auch chronisch degenerative Veränderungen zu beobachten. Die überwiegend durchgeführten Skating-Lauftechniken sind in Bezug auf das Tragen der Biathlonwaffe günstiger als die klassische Lauftechnik. Es werden rezidivierende Belastungsspitzen der Lendenwirbelsäule durch Verminderung der aktiven Extensions- und Flexionsausmaße vermindert. Die Notwendigkeit von Ausgleichsbewegungen des Beckens zur Wirbelsäule wird verringert und die Belastung der Lendenwirbelsäule und der Hüftgelenke nimmt ab. Im Vergleich zum Skilanglauf, wo zu gleichberechtigten Teilen Wettkämpfe im für die Lendenwirbelsäule belastenderen klassischen Laufstil und der Skatingtechnik ausgetragen werden, finden sich im Biathlon Beschwerden und Langzeitfolgen in geringerer Häufigkeit.

Ärztliche Betreuung von Biathleten
Aufgrund der hohen Professionalität der Sportler und dem damit assoziierten, relativ niedrigem Risiko für akute Verletzungen ist eine traumatologische Absicherung direkt vor Ort bei Biathlonwettkämpfen nur für die jeweilige Gesamtveranstaltung (Rennarzt) notwendig. Eine entscheidende Rolle im verbandsärztlichen Betreuungskonzept für den Biathlonsport spielt die interdisziplinäre Komponente. Hier muss ein gutes Netzwerk von konservativen Orthopäden, Internisten und chirurgisch erfahrenen Orthopäden vorgehalten werden. Der Prävention und Anleitung der Sportler und Trainer im Rahmen der sportmedizinischen Eignungs- und Saisoneingangsuntersuchungen kommt eine besonders wichtige Bedeutung zu. Um chronische Krankheitsverläufe zu vermeiden, ist eine frühzeitige Intervention mit konservativen Therapieformen zwingend erforderlich und die Zusammenarbeit mit einer suffizienten Physiotherapie essenziell. Bei der Notwendigkeit einer orthopädisch-chirurgischen Versorgung in sportorthopädisch-operativen Zentren ist in Abwägung der Ausfallszeiten beziehungsweise Saisonverläufe eine zeitnahe Durchführung anzustreben.

Benchmarks „Verletzungen beim Biathlon“

Die Autoren:
PD Dr. Alexander C. Disch, Stellv. Sektionsleiter Wirbelsäulenchirurgie, Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie, Charité – Universitätsmedizin Berlin. Mannschaftsarzt der Deutschen Biathlon-Nationalmannschaft
GOTS-Mitglied Dr. Bernd Wolfarth ist leitender Oberarzt der Abteilung Präventive und Rehabilitative Sportmedizin am Klinikum rechts der Isar der TU München. Leitender Disziplinarzt Biathlon, leitender Verbandsarzt des Dt. Skiverbandes, leitender Olympiaarzt des Deutschen Olympischen Sportbundes

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