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Zahlreiche Studien belegen den positiven Einfluss von Sport und sportlicher Aktivität auf die körperliche und seelische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Noch vor Corona verzeichneten zahlreiche Vereine und Sportstätten wieder zunehmende Mitgliederzahlen im Kinder- und Jugendbereich. Bei allen, auch wissenschaftlich bekannten Herausforderungen für Heranwachsende im Sport (z.B. Verletzungen, Umgang mit Niederlagen) überwiegen dennoch, mittel- und langfristig die positiven Effekte jegliche Risiken bei Weitem.
Vielmehr noch als im Erwachsenensport muss der kindliche und jugendliche Körper jedoch mit der Doppelaufgabe aus natürlichem Wachstum und sportbedingten Anpassungsreaktionen umgehen. Die Auswirkungen von Training auf den noch wachsenden Bewegungsapparat sind im besten Fall die gewünschten sportartspezifischen Anpassungen, im schlechtesten Fall aber auch Schmerzen durch lokale Überlastungen und strukturelle Schäden. Auch wenn es Hinweise gibt, dass die Schmerzwahrnehmung von Sportlern verringert ist bzw. eine durch Endorphin und Adrenalin getriggerte erhöhte Schmerztoleranz einsetzen kann, so ist gerade bei Kindern und Jugendlichen die hierüber ausgeblendete Rückmeldung und Streßresistenz der beanspruchten Gewebestrukturen ungleich niedriger.
Anhaltende lokale Schmerzen sind ein starker Indikator für ein erhöhtes Verletzungsrisiko
Durch einen immer frühzeitigeren Einstieg in systematisches Training und die parallele Ausübung von mehreren Sportarten kommen leistungsorientierte Nachwuchssportler in Training und Wettkampf zwangsläufig in Grenzbereiche der körperlichen und mentalen Leistungsfähigkeit.
Wie aber in solchen Situationen umgehen mit anhaltenden Schmerzzuständen?
Die Übergänge von einer Überlastung zur strukturellen Schädigung von Gewebe sind fließend und entziehen sich in der noch reversiblen Frühphase oft den bildgebenden Verfahren.
Hohe Bereitschaft unter Schmerzen zu trainieren
Die Wahrnehmung und vor allem die Kommunikation von Schmerzzuständen ist für junge Athleten oft schwierig, da immer noch die Annahme weit verbreitet ist, dass Schmerzen zum Sport und sogar zur Entwicklung sportlicher Höchstleistungen gehören. In diesem Zusammenhang wird häufig das Konzept “no pain – no gain” formuliert.
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Vor diesem Hintergrund, unterstützt durch intrinsische (Ambition) und extrinsische (Trainer, Betreuer, Eltern) Motivation, gibt es Hinweise darauf, dass bereits auch Kinder und Jugendliche eine hohe Bereitschaft haben unter Schmerzen zu spielen, das so genannte “Playing hurt”-Phänomen. Erschwerend kommt jedoch gerade bei Kindern und Jugendlichen hinzu, dass die medizinische Versorgungsstruktur oft weniger ausgeprägt und koordiniert ist als im erwachsenen Leistungssport, während die jungen Sportler gleichzeitig weniger Möglichkeiten zur Selbstbestimmung und mehr ausbildungs- und trainingsbedingte Abhängigkeiten zu Standorten und einzelnen Personen haben. Somit können anhaltende physische Schmerzen für die jungen Sportler neben einer Einschränkung der Funktionalität auch andere, existenzielle Bereiche berühren, die sich in Streß und Ängsten äußern.
Aus diesem Spannungsfeld heraus birgt ein dann fehlveranlagter und unkritischer Einsatz von Schmerzmitteln ein hohes Risiko für einen weiteren Schmerzmittelmissbrauch.
Daten über den oft frühen und in solchen Phasen dauerhaften Einsatz von Schmerzmitteln sind aus dem erwachsenen Leistungssport bekannt. 4 von 10 Leistungssportlern nehmen regelmäßig Schmerzmittel ein. Ebenso ist die, bis in den Amateursport verbreitete Praxis der Einnahme von Schmerzmitteln zur vermeintlichen Schmerzprophylaxe vor Wettkämpfen gut dokumentiert. Bei Marathonveranstaltungen nehmen fast 50% der befragten Athleten vor dem Lauf Schmerzmittel ohne akute Beschwerdesymptomatik.
Dabei beschränkt sich das Problem nicht ausschließlich auf den Sport. Wie weitläufig die gesellschaftliche Akzeptanz tatsächlich ist zeigen Daten aus Krankenkassenberichten. Ca. 20 % der Studierenden an den Hochschulen nehmen regelmäßig Substanzen, in den meisten Fällen Schmerzmittel, um die Handlungsfähigkeit zu erhalten oder zu verbessern ebenso wie Führungskräfte in deutschen Unternehmen. 12% der Berufstätigen wollen ihre kognitive Leistungsfähigkeit durch verschreibungspflichtige Substanzen stärken. Unter den 20 meist verkauften Arzneimitteln in deutschen Apotheken finden sich allein zwölf Schmerzmittel. Untersuchungen des Robert- Koch- Institutes haben gezeigt, dass 30-40% der Bevölkerung in Deutschland Schmerzmittel einnehmen, ohne das schmerzbedingte Einschränkungen vorhanden sind. Das Problem der Nebenwirkungen wird häufig verdrängt. Schmerzmittel werden als „normal und ungefährlich („nimmt doch jeder“)“ eingestuft und, wie neuere Arbeiten und eigene Studienergebnisse zeigen, bereits bei Heranwachsenden unkritisch eingesetzt.
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Nichtsteroidale Antiphlogistika – Analogie zur Praxis aus dem Erwachsenensport
Dabei findet sich eine Analogie zur Praxis aus dem Erwachsenensport, besonders bei nichtsteroidalen Antiphlogistika. Eine ärztlich verordnete und begleitete Einnahme hinsichtlich Dauer, Dosis und Wirkstoffkombinationen findet in zu vielen Fällen nicht statt. Der Konsum erfolgt nicht nur zur Kompensation von postexpositionellen Schmerzzuständen sondern auch prophylaktisch. Gerade bei den Adoleszenten ist mit zunehmendem Leistungsfortschritt und Übergang in den Profibereich, insbesondere bei weiblichen Athleten ein so veranlagter Schmerzmittelgebrauch belegt. Die Entscheidung zur Einnahme ist oft durch das unmittelbare Umfeld beeinflusst, welches zunächst auch die häufigste Bezugsquelle darstellt. Die daraus oftmals resultierende unkontrollierte Selbstmedikation im Nachwuchsleistungssport ist alarmierend.
Fazit
Die oftmals resultierende unkontrollierte Selbstmedikation im Nachwuchsleistungssport ist alarmierend. Eine dauerhafte Anwendung von Schmerzmitteln kann langfristig zu Organschäden führen. Es bedarf daher auch im Nachwuchsbereich eines besseren Monitorings von Schmerzzuständen und einer angemesseneren Würdigung von anhaltenden Schmerzen. Trainer, Athleten und insbesondere auch das familiäre Umfeld müssen instruiert und sensibilisiert werden. Hier ist mehr Aufklärung über die Nebenwirkungen und Folgen eines unkritischen Medikamentengebrauchs notwendig. Betreuende Ärzte sollten als positives Beispiel vorangehen und insbesondere bei der Betreuung der Athleten ein besonders wachsames Auge und offenes Ohr bei Schmerzzuständen ihrer jungen Sportler haben, um die Athleten und Athletinnen gesund durch den Sport zu begleiten.
DER AUTOR
Dr. med. Gregor Berrsche ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Von der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg wechselte er 2022 ans Deutsche Gelenkzentrum in der ATOS Klinik Heidelberg. Berrsche war bis 2022 stv. leitender Orthopäde am Olympiastützpunkt Rhein Neckar. Als Mannschaftsarzt der deutschen Volleyballnationalmannschaft der Damen und des Südwestdeutschen Fußballverbands ist er im Spitzen- und Amateursport aktiv. Er ist Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin (GOTS) und wissenschaftlich im Komitee Kindersportorthopädie engagiert.
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